Bilder-Mystik in der Kirche

Unter dem Titel „Farbenwelt“ werden in Wiener Neustadt an die 100 Werke von Hermann Nitsch gezeigt. Rita Nitsch, die Witwe des im Vorjahr verstorbenen Künstlers, erinnert sich an gemeinsame Zeiten und erzählt von neuen Aufgaben.

Andere mögen mit 66 Jahren längst in Pension sein. Nicht so Rita Nitsch. Die 66-Jährige organisiert, koordiniert, delegiert. Und gibt dazwischen Interviews. Vor eineinhalb Jahren, am Ostermontag 2022, starb ihr Mann. Hermann Nitsch. Ein Universalkünstler. Weltberühmter Aktionist, Maler, Philosoph, Zeichner, Schriftsteller und Komponist. Er liegt begraben in der Gruft von Schloss Prinzendorf – zusammen mit einem Doppler Wein. „Er fehlt sehr, der Nitsch“, sagt seine Witwe, die ihren Mann stets nur „Nitsch“ nannte. „Ich habe mir vorgenommen, sein Werk weiterzuführen und ihn dadurch lebendig zu halten.“

Alle Entscheidungen in seinem Namen sind nun von Rita Nitsch zu treffen. Schließlich gibt es nicht nur ein Nitsch Museum (in Mistelbach), sondern auch eine Nitsch Foundation (in Wien). Und daneben gilt es noch, Schloss Prinzendorf, das immer wieder Schauplatz von Aufführungen des Orgien Mysterien Theaters ist, zu erhalten und verwalten. Hermann Nitsch hatte dieses 1971 aus dem Besitz der Kirche erworben. „Das riesige Schloss zu führen ist eine ständige Herausforderung“, sagt Rita Nitsch. Im Moment sei man gerade dabei, das Schloss klimaneutral zu machen. Künftig werden zwei große Luftwärmepumpen die kalten Gemäuer im Winter heizen.

Die rohen, kühlen Wände der gotischen Kirche St. Peter an der Sperr zeigen bis Ende Oktober an die hundert Werke Hermann Nitschs. Es sind vor allem großformatige Bilder aus der Sammlung Werner Trenker, ergänzt um Leihgaben der Nitsch Foundation. „Ich glaube, es wird eine sehr schöne Ausstellung“, sagt Rita Nitsch. „In Kirchen hat er seine Bilder immer besonders gerne zur Schau gestellt.“ Ihre Augen glänzen, wenn sie vom Werk ihres Mannes spricht. „Er hält mit seiner Arbeit der Welt einen Spiegel vor. Das ist für uns nicht immer angenehm. Denn er geht in die Tiefe und versucht, unsere Abgründe zu erforschen. Und dennoch war er sein ganzes Leben lang kein Pessimist.“

Hermann Nitsch wuchs im bombenzerstörten Wien des Zweiten Weltkriegs auf. Der Vater fiel in Russland. Der Bub war, wie er selbst bekannte, ein Schulversager und musste das Gymnasium verlassen. An der Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt erhielt er eine künstlerische Grundausbildung. Vom anfänglichen Naturstudium entwickelte er sich hin zur abstrakten Malerei. Daneben beschäftigte er sich auch mit Lyrik, Dichtung, Theater und klassischer Musik. 1960 entstanden seine ersten Schüttbilder. Seine öffentlichen Malaktionen führten ihn zu ständigen Konfrontationen mit den Behörden – und auch zu mehrwöchigen Gefängnisaufenthalten. „Er hat immer stark polarisiert“, sagt Rita Nitsch. „Anfeindungen gegen ihn und sein Werk erlebe ich nach wie vor.“

Das Schaffen des umstrittenen Künstlers war ihr bereits als junger Frau bekannt. „Als Psychologin hatte ich einen Zugang zu seiner Arbeit und verstand, was er macht“, erzählt sie. Rita Leitenbor, wie sie als Mädchen hieß, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Temeswar, Rumänien. Die Eltern gehörten der dortigen deutschsprachigen Minderheit an. Der Papa war Maschinenbauingenieur, die Mama Kindergärtnerin. Ständig stellte man Anträge zur Ausreise aus Rumänien. Doch erst als die Oma in Hungerstreik trat, durfte die Familie das Land verlassen und 1976 in Deutschland ein neues Leben beginnen. In Berlin begann Rita Leitenbor Psychologie zu studieren. „Ich wollte einen heilenden oder helfenden Beruf ausüben“, erzählt sie. Nach dem Studium begleitete sie ein Jahr lang krebskranke Menschen mithilfe von Psychotherapie.

Dann lernte sie Nitsch kennen. Sie erinnert sich: „Ich war zu Besuch in Wien und hörte, dass man das Schloss in Prinzendorf besuchen kann. Es hieß: Der Nitsch ist eh nie im Schloss. Aber dann war er da.“ Liebe auf den ersten Blick war es jedenfalls keine, sagt sie. „Er war hartnäckig. Ist oft nach Berlin gekommen, weil er dort angeblich etwas zu tun hatte. Dabei hatte er nie etwas zu tun.“ Sie lacht. Immer öfter traf man einander, ging abends essen. „Aber wir waren noch ein Dreivierteljahr per Sie.

1986 zog sie zu ihm nach Prinzendorf. Als die beiden 1988 heirateten, war sie 31, er 50. Traumschloss war es keines, das sie fortan bewohnte. „Es war anfangs ein Schock“, erinnert sie sich. In Berlin war sie regelmäßig ins Kino und ins Theater gegangen. „In Prinzendorf gab es gar nichts. Das Schloss war heruntergekommen. Die Fenster waren kaputt, der Garten war verwildert, im ganzen Gebäude liefen Mäuse herum.“ Zudem wurde Rita Nitsch, wie sie nun hieß, mit Vorurteilen und Kritik konfrontiert. Im Geschäft in Prinzendorf stand „Nitsch, nein danke!“ auf der Vitrine. Ihre Reaktion? „Es hat mich angespornt, ihn in seiner Arbeit noch mehr zu unterstützen.“

Sie wurde seine Managerin. Sie organisierte Ausstellungen, wirkte bei Aktionen mit und trug Sorge, dass Schloss Prinzendorf sachkundig restauriert wurde. „Wir waren beruflich ein gutes Team“, sagt sie, „obwohl er schwer zu managen war. Er war als Mensch nicht einfach und oft beratungsresistent. Privat haben wir viel gestritten. Künstler sind selten gute Ehepartner. Sie denken vor allem an sich und an ihr Werk.“ Das Werk von Hermann Nitsch kann bis 29. Oktober im Museum St. Peter an der Sperr besichtigt werden.

SAMMLUNG TRENKER

Es sind großteils Werke aus der Sammlung von Werner Trenker, die bis 29. Oktober in der weltweit umfangreichsten Nitsch-Ausstellung zu sehen sein werden. Die Bilder ­öfentlich ­zugänglich zu machen war der ausdrückliche Wunsch des Sammlers. „Wenn ein Besucher danach beginnt, sich mit Kunst auseinanderzusetzen und sein Leben durch Kunst inspirieren lässt, hat Kunst Wichtiges geschaft“, sagt Werner Trenker. Im Jahr 1997, als knapp Dreißigjähriger, gründete er mit seiner Frau das Unternehmen Med Trust. Die Firma produziert und vertreibt Produkte zur Versorgung von Diabetikern wie Blutzuckermess­geräte, Teststreifen und Insulinpumpen. Erster Firmensitz war im Keller des Hauses seiner Eltern in Wiener Neustadt. Mehr als 25 Jahre später zählt Med Trust Niederlassungen in dreizehn europäischen Ländern. Daneben schuf Werner Trenker eine umfangreiche private Kunstsammlung. Sie umfasst vor allem zeitgenössische Gemälde und Skulpturen. Der Fokus liegt auf Hermann Nitsch, Arnulf Rainer, Gottfried Helnwein, Roy Lichtenstein und Kiki Kogelnik.