Neu betrachtet: Dirndl, Lederhose & Haferlschuh
Stadtstyle trifft Landluft: Im Trachtengeschäft von Judith Hönig in der Wiener Straße 44 werden Jung und Alt, ja selbst Urlaubsgäste von der Nordsee, fündig. Denn Tracht zu tragen, gilt heutzutage wieder als chic.
Manchmal schreibt das Leben doch die schönsten Geschichten. Zum Beispiel diese: An einem Winterabend im Jahr 1990 besuchte Judith Hönig in einem Dirndl aus dem Trachtengeschäft Köstler den Wiener Neustädter Jägerball. Der Abend sollte ihr Leben nachhaltig verändern. Auf dem Ball lernte die damals 24-Jährige nämlich einen jungen Mann namens Klaus näher kennen. Ihn sollte sie vier Jahre später heiraten.
32 Jahre später. Im Herbst 2022 unterhielt sich die inzwischen umtriebige Geschäftsfrau mit den beiden Inhaberinnen des oben genannten Trachtengeschäfts. Diese klagten ihr Leid, dass sie keine Nachfolge für das alteingesessene Unternehmen finden würden. „Wäre ich zehn Jahre jünger und hätte ich die Zeit und das Geld, dann würde ich den Betrieb übernehmen“, sagte Judith Hönig damals lachend.
Wer Monate später an dem Geschäft vorbeischlenderte, der staunte nicht schlecht: An der Fassade prangte nun „Judith Hönig – Trachten Köstler“ in großen Lettern. Was war passiert? „Letztlich hat mich mein Mann zu dieser Entscheidung ermutigt – aus nostalgischen und strategischen Gründen“, erzählt die 59-Jährige. Einerseits suchte sie eine Herausforderung und ein neues berufliches Standbein. Anderseits wollte sie keinen Leerstand in dem Trachtengeschäft, das sich neben ihrem Deko-Shop befindet. „Ohne die Unterstützung der beiden ehemaligen Betreiberinnen hätte ich mir aber sehr schwergetan. Sie haben mir die Angst vor der neuen Materie genommen“, erinnert sich die gelernte Steinmetzmeisterin.
Dirndl und Lederhose waren einst Arbeitsgewand. Für die arbeitende Bevölkerung hatte die Tracht vor allem zwei Aufgaben: Sie musste praktisch und für den Alltag geeignet sein. Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten Adel und Bürgertum die Sommerfrische auf dem Land – und auch die Tracht. Sogar Kaiser Franz Joseph I. galt als begeisterter Lederhosenträger. Zunehmend bekam die Tracht symbolische Bedeutung, als Ausdruck von Heimatverbundenheit und regionaler Identität.
Heute gilt es wieder als chic, Tracht zu tragen. „Zu uns kommen 15-jährige Mädchen und 80-jährige Großväter“, berichtet Judith Hönig. Letztens hatte man sogar einen Kunden von der Nordsee zu Gast, der das Geschäft mit seiner ersten Lederhose verließ. Das liege auch daran, dass sich die Tracht heutzutage mit Urban Style kombinieren lasse. Mädels tragen Dirndl mit Sneakers oder Stiefeletten, ziehen Jeans- oder Lederjacke über die Trachtenbluse oder kleiden sich mit Trachtenrock und Rollkragenpulli. „Tracht zu tragen, ist viel lässiger geworden.“
Seit zwei Jahren weht nun schon ein frischer Wind durch die alten Gemäuer in der Wiener Straße 44. Im hinteren Verkaufsraum finden die Herren 25 unterschiedliche Lederhosen – in kurz, in lang und in knielang –, allesamt aus Ziegenleder gefertigt. Hier sind auch Trachtenhemden (Kurzarm, Langarm, einfärbig, gemustert, kariert) ausgestellt sowie Trachtengilets, Trachtensakkos, klassische Stutzen oder natürlich die Haferlschuhe – einst traditionelle Arbeitsschuhe der Bevölkerung in den Alpenregionen.
Im sogenannten „Dirndlzimmer“ hängen mehr als 50 verschiedene Modelle, von Größe 30 bis 52, von rosa bis grau und schwarz, von traditionellen Dirndln und schlichten Dirndln über Baumwolldirndln und Samtdirndln bis hin zu hochgeschlossenen Dirndln und solchen mit viel Ausschnitt. „Würde jede Frau ein solches Kleid tragen, dann gäbe es keine Hässlichkeit mehr“, lobte die extravagante britische Designerin Vivienne Westwood bei einem Österreich-Besuch das Dirndl. „Das stimmt wirklich!“, ruft Judith Hönig begeistert, „in einem Dirndl schaut jede Frau gut aus!“ Warum? „In einem Dirndl hat man eine andere Körperspannung, man steht viel aufrechter da.“.
Zum Schluss präsentiert die Chefin noch ein ganz besonderes Stück aus ihrem Fundus: das Neustadt-Dirndl. Es wurde im Zuge der Landesausstellung im Jahr 2019 entworfen, zeigt die Verbundenheit seiner Trägerin mit der Stadt – und ist ausschließlich im Trach-tengeschäft von Judith Hönig erhältlich. Nicht mehr im Sortiment ist übrigens das Dirndl vom Jägerball anno 1990. In Judith Hönigs Kleiderkasten hängt es aber nach wie vor.