Radel verpflichtet

Seit mehr als hundert Jahren dreht sich im Geschäft der Familie Heindel alles um das Fahrrad.

Speichen nachziehen, Schaltzüge reinigen, Tretlager einfetten usw. Andreas Heindel ist immer mit Hingabe dabei. Und mit Liebe zum Detail.

Es sind die Hände, die als Erstes ins Auge stechen. Andreas Heindels schwarze, schwielige Hände erzählen Geschichten. Von langen Arbeitstagen in der Werkstatt, von öligen Fahrradketten und nachgezogenen Speichen und Schrauben, von gereinigten Schaltzügen und eingefetteten Tretlagern. „Meine Hände sind erledigt“, sagt Andreas Heindel, 44, „die Haut fühlt sich an wie Leder. Aber ich kenne es nicht anders. Diese Arbeit ist mein Leben.“ Handarbeit, Tradition und persönliche Betreuung. Das wird im Familienbetrieb Heindel großgeschrieben – seit vier Generationen und mehr als hundert Jahren. Die Kunden wissen das zu schätzen, egal ob sie Ersatzteile und Zubehör suchen oder ihr Rad zu Reparatur und Service bringen. „Andreas Heindel, Mechaniker“, prangt in schwarzer und roter Schrift oberhalb der Eingangstüre des Geschäfts am Eyerspergring Nummer 7. Sein Urgroßvater Josef begründete 1921 das Familienunternehmen, das sich damals noch in der Bognergasse befand, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschleift wurde. „Die 1920er- und 1930er-Jahre waren hart, die Leute hatten keine Arbeit, und mein Urgroßvater musste sich irgendwie durchschlagen“, erzählt Andreas Heindel. Wie so viele Häuser in Wiener Neustadt wurde auch das Geschäft der Heindels im Krieg zerbombt. „Es war fast alles zerstört. Was noch irgendwie verwendbar war, hat man aus den Trümmern ausgegraben.“

Seit 1945 befindet sich der Betrieb am heutigen Standpunkt, wo er sukzessive umgebaut und erweitert wurde. Das Geschäft lässt das Herz von Radfans höherschlagen: Hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt, von Akkulichtern bis Zahnkränzen. 250 Fahrräder – kleine Kinderradeln und hochpreisige E-Bikes – stehen in guten Zeiten zum Verkauf. Derzeit sind es deutlich weniger. „Aufgrund der Pandemie fehlt leider viel Ware“, sagt Andreas Heindel. Im hinteren Teil des Hauses befindet sich das Herzstück des Geschäfts: die Werkstatt. Hier bastelt und tüftelt Andreas Heindel an den verkaufsfreien Nachmittagen. An seiner Seite: Vater Josef, 80 Jahre alt und seit 66 Jahren an jedem Werktag im Betrieb. „Ich muss doch dem Sohn helfen“, sagt er, „das ist so in mir drinnen.“

In der Werkstatt scheint die Zeit auf sympathische Art und Weise stehengeblieben zu sein. Ein alter Meller-Gussofen sorgt an kalten Wintertagen für wohlige Wärme, und auf dem grauen Steinboden stehen Maschinen aus den 1950er- und 1960er-Jahren – hier eine Schleifmaschine, da ein Standbohrer und dort ein Zentrierständer. In diese Welt wurde Andreas Heindel vor 44 Jahren hineingeboren. „Es war immer klar, dass ich den Betrieb einmal übernehmen werde. Schon als kleines Kind habe ich in der Werkstatt mitgeholfen.“ Und so verwundert es nicht, dass Andreas Heindel nicht nur mit Hightech-Fahrrädern umzugehen weiß, sondern noch gelernt hat, alte Waffenräder zu reparieren. Für Hobbys bleibt dem Wiener Neustädter kaum bis keine Zeit. Der letzte Urlaub? Wurde seit drei Jahren immer wieder verschoben. In den raren freien Minuten setzt sich Andreas Heindel am liebsten aufs Rad, Baujahr 1952, und kurvt durch die Bucklige Welt. Auf dem Motorrad, wohlgemerkt.

Seit mehr als hundert Jahren dreht sich im Geschäft der Familie Heindel am Eyerspergring alles um das Fahrrad. An Handarbeit und Tradition hält auch Juniorchef Andreas in vierter Generation fest.