Ausg'steckt in der kleinen Toskana
Josef Fucik ist Lehrer, Weinbauer, Wirt und ein Original.
Josef Fucik ist Lehrer, Weinbauer, Wirt und ein Original. Mit viel Herzblut führt er den letzten traditionellen Heurigen in Wiener Neustadt. Auf den Tisch kommen Tropfen aus eigenem Anbau und Delikatessen aus der Region.
Tradition kann man nicht kaufen. Besucher des Alten Stadtheurigen wissen das. Hier treffen einander seit gut hundert Jahren die Wiener Neustädter zum Essen und Trinken, zum Reden und Singen – und um glücklich und schwermütig zu sein. Im Herzen der Stadt, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt, liegt dieser Familienbetrieb in der Baumgartgasse 9. „Mein Urgroßvater Josef erwarb das Haus im 19. Jahrhundert. Er war von Beruf Fassbinder und betrieb den Heurigen nur nebenbei. Abends räumte er einfach die Geräte weg und stellte ein paar Tische auf – und fertig war der Heurige“, erzählt Josef Fucik, der das Lokal nach dem Tod des Vaters 2007 in vierter Generation übernahm.
Der Weinbau hat eine lange Geschichte in Wiener Neustadt. Schon im 16. Jahrhundert besaß die Stadt bedeutende Lagen in der Gegend rund um Ödenburg, dem heutigen Sopron. Zusätzlich kultivierten auch zahlreiche Wiener Neustädter am Stadtrand ihre eigenen Weinbauflächen. Noch in den 1980er-Jahren zählte man in Wiener Neustadt mehr als zwanzig Heurige. Heute ist der Alte Stadtheurige, der erstmals 1919 seine Tore öffnete, der letzte seiner Art. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts betreibt die Familie Fucik auch ein Weingut, das sich über einen Hektar erstreckt und circa 3.000 Weinstöcke umfasst. Weiß- und Blauburgunder, Grüner Veltliner und Zweigelt gedeihen im Ried Gießhübl am südlichen Stadtrand. Woher der Name kommt, weiß man nicht mehr, aber es ist Josef Fuciks „kleine Toskana“, wie er sagt. Und es ist der südlichste Ausläufer des Weinbaugebiets Thermenregion, wo die kargen Schotterböden des Steinfeldes besonders den Rotweinsorten ausgezeichnete Bedingungen bieten.
Wirt und Winzer ist der 58-Jährige, den alle „den Pepi“ rufen, nur nebenberuflich. Von Montag bis Freitag unterrichtet er Deutsch und Sport an der Mittelschule in Siegendorf. Danach sieht man ihn im Weingarten werken. „Die Arbeit ist sehr zeitintensiv, da jeder Schritt händisch erfolgen muss“, sagt er. Die Tätigkeit des Winzers beginnt im Jänner mit dem Rebschnitt. Der März ist die Zeit für Reparaturen: morsche Holzpfähle werden ausgetauscht, Stützstöcke nachgeschlagen, Drähte nachgespannt oder erneuert. Ab April muss gedüngt und gespritzt werden. So wenig wie möglich, so viel wie notwendig, lautet hier die Devise. Bei der Weinlese im Herbst unterstützen ihn gute Freunde und langjährige Stammgäste. „Allein würde ich das nicht schaffen“, sagt Josef Fucik. Als Dankeschön gibt’s danach im Heurigen für alle Helfer ein Rehgulasch.
Das Haus in der Baumgartgasse 9 ist eines der wenigen Gebäude in Wiener Neustadt, die beide Weltkriege nahezu unbeschadet überstanden haben. Nur wer ganz genau hinsieht, bemerkt den Splitter einer Granate, der noch in der Eingangstüre steckt. „Ausg’steckt is“ beim Fucik dreimal im Jahr. Auf den Tisch kommen dann nicht nur die eigenen Weine, sondern auch fleischige Delikatessen, die der Heurigenwirt selbst veredelt. Was fürs Heurigenbuffet nicht selbst produziert wird, stammt aus regionalem Einkauf: der Schafkäse aus der Buckligen Welt, die Blunzn aus dem Burgenland und die Sauren Rüben aus Neudörfl – all das serviert auf traditionellem Gmundner Geschirr. Nimmt man Platz, fällt es nicht schwer, sich im Geiste ins 19. Jahrhundert zurückzuversetzen. Die zahlreichen Stüberl werden teils noch mit alten Holzöfen beheizt. Von den Wänden grüßen die Geweihe jener Tiere, die Urgroßvater und Großvater einst erlegt haben. Und dazwischen prangen gut gerahmt vergilbte schwarzweiße Erinnerungen.
Wenn an heißen Sommertagen der alte Nussbaum im windgeschützten Innenhof Schatten spendet, wenn unter den grünen Heurigenbänken die Kieselsteine knirschen, wenn die Gläser mit kühlem Wein gefüllt werden und die Gäste damit einander freudig zuprosten, dann weiß Josef Fucik, warum er mit so viel Leidenschaft und Herzblut seinem Hobby frönt. „Das Wichtigste ist, dass es mir Spaß macht. Es gibt nur wenige Berufe, in denen man so nette und spannende Leute kennenlernt.“ „Mein Haus ist meine Welt, in der es mir gefällt“, steht auf einem gestickten Tuch, das im Eingang hängt. Den Wiener Neustädtern gefällt diese Welt. Seit mehr als hundert Jahren. Und hoffentlich noch einmal genau so lange.