Das Wunder Wald

Wer an Wiener Neustadt denkt, sagt nicht nur Wasserturm, Dom und Kasematten, sondern ganz sicher auch Föhrenwald. Naturfotograf Bernhard Schubert machte sich auf den Weg, um dem Leben im Reich der Bäume zu begegnen.

Verwunschen

Die Anmutung der alten Pulverfabrik ist beinahe mystisch. Der letzte Teil, die Ruine des Verwaltungsgebäudes, wird als „lost place“ zunehmend von der Natur zurückerobert. Der Fotograf hat lange recherchiert, an welchen Tagen im Jahr die Sonne genau zwischen Schneeberg und Hoher Wand untergeht. Und wie er dank der großen Drohne mit verstellbarer Blende die strahlenden Effekte über der Weite des Landes bestmöglich einfangen kann.

Verzehrend

Auf den ersten Blick ist es einfach nur eine Wespe, die im Grün der Wilden Möhre auffällt. Aber wer genau hinsieht, erkennt, dass sie längst zum Opfer wurde. Die sogenannte Napoleon-Spinne (wegen ihrer Musterung, die an den Hut des französischen Kaisers erinnert) ist dabei, ihre Beute zu verzehren. Möglich wurde diese Aufnahme, weil Bernhard Schubert mit einer speziellen Kombination aus Makro-Objektiv, Tele-Extender und Vorsatzlinse darunterlag und die Kamera in zwei Zentimeter Nähe positionierte.

Verwackelt

Das Bild entstand in der frühen Dämmerung – wenn das Licht ins sanfte Bläuliche wechselt und dem Stamm der Föhre das Geheimnisvolle abringt. Um diesen optischen Schleier zu erzeugen, statt die Rindenstruktur in aller Schärfe zu erfassen, hat Bernhard mit der Kamera bewusst gewackelt.

Verwegen

Für diesen vermeintlichen Blickkontakt zwischen Fotograf und dem imposanten Heupferd kam eine höchst spezialisierte Linse zum Einsatz. Die vier Zentimeter große Langfühlerschrecke ist ein leuchtendes Beispiel für Fotokunst und vermittelt auf einer verblühten Königskerze eine Art Kontaktaufnahme.

Versteckt

Schau genau! In der Kiesgrube am Waldrand ist mit geschultem Auge auch die Blauflügelige Ödlandschrecke zu entdecken. Und zwar bestens getarnt. Bernhard ist ihr während der Hüpfphase gefolgt und hat sie dann mit der Kamera eingefangen. Er sagt lächelnd: „Es ist ein Phänomen. Diese Tiere haben keinen Spiegel, um zu wissen, wie sie aussehen. Aber einen absoluten Instinkt, wo sie sitzen müssen, um nicht aufzufallen.“

Verzückt

Nahe dem Wald zieht eine Rohrweihe wenige Meter über den Feldern ihre Kreise. Im sogenannten Gaukelflug ist sie auf Beutesuche. Die Musterung im Gesicht erinnert an eine Maske und gibt Gewissheit: ein Weibchen. Der Fotograf hat den Vogel aus weiter Ferne gesichtet und geduldig gewartet, ob er Kurs auf die Kamera nimmt. Und die Verzückung war groß, weil: Wunsch erfüllt, Bilderserie geschossen.

Bernhard Schubert schwärmt: „Dieser Blick über die weite Baumlandschaft mit den markanten Bergen am Horizont ist immer wieder faszinierend.“ Und wenn sogar der geübte Naturfotograf vom ästhetischen Schauspiel aus der Reserve gelockt wird, dann zählt’s. Der Föhrenwald ist ein rund 2.000 Hektar großes Grünparadies zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen. In der Literatur finden sich so manche Hinweise darauf, dass der Wald bereits im 15. Jahrhundert auf Wunsch von Kaiser Friedrich III. angelegt wurde. Historisch gesichert ist das allerdings nicht.

So oder so sind die Schwarzföhren, von Botanikern gerne als bedeutendste Baumart des Landes bezeichnet, für die Wiener Neustädter ein wichtiger Teil regionaler Identität. Wussten Sie beispielsweise, dass sie in Österreich wesentlich weiter verbreitet sind als die Zirben? Oder dass sie das härteste Nadelholz besitzen, weshalb sie mit Vorliebe für den Bau von Bühnenböden verwendet werden?

Für einen Kamerakünstler ist der Föhrenwald auf jeden Fall ein inspirierender Ort, um auf Entdeckungsreise zu gehen und seine Begegnungen zu dokumentieren. Und wer weiß, vielleicht hat er Sekunden vor dem Foto rechts einfach nur geflüstert: „Schau mir in die Augen, Kleiner!“