DIE WÜSTE LEBT

Für die einen ist es eine Steppe am Rande der Stadt. Für die anderen ist es ein Lebensraum, der sich eine nähere Betrachtung verdient.

Und so rückte der Fotograf immer wieder aus, um Tieren und Pflanzen eine Bühne zu schenken.

FERNBLICK Das warme Licht des Sommerabends schenkt der Kalkschottersteppe im Norden der Stadt atmosphärische Kraft. Die Schattenwürfe offenbaren eine Harmonie zwischen den Gräsern, den eisernen Panzersperen des Truppenübungsplatzes und den Bäumen. Föhren und Spitzpappeln wirken wie ein Nest für den Dom in der Ferne. „Für diese Sicht und das Bild musste ich auf einen hohen Pfosten klettern“, sagt Bernhard. Ein gelungener Balanceakt.

LICHTBLICK Ob die Smaragdeidechse, die Bernhard am trockenen Waldrand entdeckt hat, trächtig ist oder sich nur breit macht, um Sonne zu tanken, ist nicht genau ersichtlich. Dass im Halbschatten der Föhre ein Lichtstrahl genau auf das Gesicht des Weibchens fällt, macht den Moment so oder so speziell. Als hätte das lauernde Tier die Idee, dem lauernden Fotografen zu einem Lächeln zu verhelfen.

Die Kunst ist es, immer wieder die Trampelpfade zu verlassen, um das Besondere in Angriff zu nehmen. Sei es für den eigenen Anspruch oder als Mission für jene Menschen, die gerne überrascht werden. Und so hat sich der Wiener Neustädter Fotograf Bernhard Schubert entschlossen, das Bunte dort einzufangen, wo man am wenigsten damit rechnen könnte. In der Kalkschottersteppe nördlich der Stadt. In einem Gebiet, das – von übenden Soldaten und landenden Fallschirmspringern abgesehen – außer Nutzung gestellt ist, und das vielleicht gerade deshalb zum geschützen Lebensraum für Tiere und Pflanzen werden konnte. „Es lohnt sich hier einfach, genauer hinzusehen“, sagt der Mann mit dem Scharfblick und lächelt: „Die Wüste lebt“.

Vor allem im Frühling herrscht hier eine erstaunliche Artenvielfalt. „Das würde kaum einer glauben, wie faszinierend die Natur bei näherer Betrachtung ist.“ Und, das sollte immer hinzugefügt werden, mit Ausdauer. Weil: Wer gute Bilder will, braucht nicht nur Gefühl, sondern viel Geduld.

EINBLICK Das Brandknabenkraut ist ein zäher Knollengeophyt ...das wäre die wissenschaftliche Beschreibung. Wer‘s lieber lyrisch mag: Diese zierliche Orchidee ist ein Juwel, dessen Farbenpracht Bernhard dank Hintergrundabdeckung und Blitzen zum Glänzen bringt. Die Pflanze mit der hoher Anpassungskraft an nährstoffarme Extremstandorte ist nur 15 Zentimeter groß. Aber dank eines geübten Auges wird aus der Nähe „ihre Unauffälligkeit so magisch auffällig.“

AUGENBLICK Grashüpfer? Das wäre zu simpel benannt, genau genommen ist es ein grünes Heupferd im Nymphen-Stadium, das im Herzen der Klatschmohnblüte das Leben genießt. Der spezielle Reiz der Aufnahme: „Es ist eine Lichttäuschung, aber es wirkt, als würde uns der Kerl anstarren.“

ÜBERBLICK Ein Almwiese, möchte man meinen. In Wahrheit sind es die Blüten von Kornblume, Klatschmohn, Kamille oder Maragarite, die auf der Bühne des kargen, steinigen Steppenbodens im Frühjahr farbenprächtig performen. Und zum saisonalen Lebensraum für Tiere werden

WEITBLICK Sein Name ist Hase, und er weiß, wie Tarnung läuft. Als wäre er in Symbiose mit Gräsern und verblühten Disteln. Wer Meister Lampe auf dessen Beobachtungsposten und die Weite einfangen will, braucht ein ordentliches Tele. Bernhard: „Ich war für dieses Foto etwa hundert Meter entfernt.“

Naturfotograf BERNHARD SCHUBERT… … ist 31 Jahre alt und studierte Zoologie an der Uni Wien. Derzeit schreibt der Wiener Neustädter an der BOKU seine Masterarbeit über Fledermaus-Rufe. Seit 2017 widmet er sich professionell seiner Leidenschaft, der Naturfotografie. Sein Stolz: die Auszeichnung als „Wildlife Photographer of the Year“ durch das National History Museum London beim bedeutendsten Fotowettbewerb der Welt.