Der Kunst ihren Raum, der Kunst ihren Kopf
Das Bösendorfer Festival ist ein verlässliches Ereignis, um Sinnlichkeit sichtbar, hörbar, spürbar zu machen. Große Persönlichkeiten haben in Wiener Neustadt heuer ihr Rendezvous. Und Pianist Florian Krumpöck weist den künstlerischen Weg zu Ludwig van Beethoven.
»IN EINER STADT, IN DER SOLCHE INSTRUMENTE HERGESTELLT WERDEN, IST SO EIN FESTIVAL ZWINGEND NOTWENDIG.«
„Unter Pianisten bin ich so etwas wie ein Klavierfetischist“, bekennt Florian Krumpöck. Ein eigener Techniker hat dessen sechs Bösendorfer-Flügel präzise auf ihn eingestellt, darunter auch das allererste Modell Imperial (Baujahr 1904), das sich im Palais Strudlhof befand, als mit dem Serbien-Ultimatum der Erste Weltkrieg besiegelt wurde. Er ist außerdem einer der wenigen Pianisten, die nahezu bei jedem Auftritt auf einem der eigenen Flügel spielen. Ja, Florian Krumpöck ist Klavierfetischist – und somit wohl der perfekte Intendant für das Bösendorfer Festival, in dessen Rahmen er sich mit Publikumslieblingen aus Schauspiel und Musik von September 2021 bis Juni 2022 die Bühne teilt. Der Scheinwerfer bleibt dabei jedoch stets auf das Klavier gerichtet.
Wiener Neustadt, Heimat aller Bösendorfer-Flügel. Die weltweit älteste Produktionsstätte für Premium-Klaviere hat die Geschichte klassischer Klavierbaukunst mitbegründet. „In einer Stadt, in der solche Instrumente hergestellt werden, ist eine Veranstaltung wie dieses Festival zwingend notwendig“, sagt Florian Krumpöck. Die neuen Eventsäle in den historischen Festungsmauern der Kasematten bieten dafür das ideale Ambiente. Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag war für Krumpöck Anlass, eine Ode an die Klavierkunst zu organisieren. Auch wenn aufgrund der Covid-19-Pandemie ein 251-Jahre-Jubiläum daraus wurde, dem Enthusiasmus der Mitwirkenden tut das keinen Abbruch. An einigen Abenden wird mit Jazz, Kabarett und sinnlichen Balladen – etwa von Maria Bill – die moderne Seite des Klaviers gezeigt, aber das Herzstück des Festivals ist „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“: 13 Abende, 32 Sonaten und der Versuch, Leben und Werk des Komponisten und Pianisten besser zu erfassen. Mit den Beethoven-Klaviersonaten ist Florian Krumpöck bestens vertraut. Um sie sämtlich auf CD aufzunehmen, hat er zuletzt fünf Jahre gebraucht. Beim Bösendorfer Festival erklingen sie nun in dieser Form erstmalig innerhalb einer Saison.
»UNSERE ELTERN SIND NOCH MIT EINEM VÖLLIG FALSCHEN BILD VON BEETHOVEN AUFGEWACHSEN.«
„Diese Kompositionen ziehen sich fast durch das ganze Leben Beethovens. Deshalb kann man an ihnen biografisch sehr viel festmachen“, sagt der 43-Jährige. Traurigkeit, Verzweiflung, Ekstase: Beethovens Leben war ein Auf und Ab. Je nachdem, wo er sich auf dieser emotionalen Hochschaubahn gerade befand, war seine Musik auch unterschiedlich gefärbt. Deshalb lesen prominente Stimmen zwischen den Sonaten aus alten Artikeln, Briefen und sogar Tagebucheinträgen von Beethoven selbst vor – und formen damit ein plastisches Bild des getriebenen Genies.
„Unsere Eltern sind noch mit viel biografischem Schwachsinn über Beethoven aufgewachsen“, sagt Florian Krumpöck. Der erste Biograf des Komponisten war ein Aufmerksamkeits-heischer und Schwindler, der nachweislich Tagebucheinträge gefälscht hat, um das Bild von Beethoven als vollkommenem Menschen ohne Ecken und Kanten zu wahren. Dabei war sein Leben geprägt von Tragödien, auch abseits des Gehörverlusts. Das lebenslange Ringen um eine Festanstellung machte ihn extrem geizig, und sein Neffe, den er zu sich geholt hatte, unternahm einen Selbstmordversuch. „All das findet in der Musik Widerhall. Weiß man diese Dinge, spürt man seine Kompositionen anders“, sagt Krumpöck.
„Ich glaube, dass Beethoven deshalb über lange Zeit falsch gespielt wurde.“
„Mein Engel, mein alles, mein Ich“: Den Abend über die mysteriöse „unsterbliche Geliebte“ Beethovens hält Florian Krumpöck für einen der berührendsten. Gelesen wird der berühmte Brief an Beethovens große Liebe von dem prominenten Schauspielerpaar Maria Köstlinger und Juergen Maurer. Jede Zeile geht über vor Zärtlichkeit, Sehnsucht und Verzweiflung. Diese Leidenschaft regte zum weltweiten Rätselraten an, allein auf Wikipedia sind sieben mögliche Kandidatinnen gelistet. „Unsere Lesung ist eine Art forensischer Suche. Wir versuchen, die Leerstellen mit Originaldokumenten aufzufüllen“, erklärt Juergen Maurer. Tatsächlich soll des Rätsels Lösung danach offenbart werden – eine bitter- süße Aussicht, wenn man bedenkt, dass die große Liebe Beethoven zeit seines Lebens verweigert blieb. Vielleicht war es Fluch, vielleicht Segen. „Große Kunst entsteht oft aus großem Leid“, meint Juergen Maurer. „Das ist eine Binsenweisheit. Aber auf Beethoven trifft sie ganz besonders zu.“
Termine 2022
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