Dem Zauber auf der Spur
Woraus besteht der Weihnachtszauber? Für manche aus Kerzenlicht oder Punsch, für andere aus Sägespänen oder Keramik. Hinter den Kunstwerken auf den Wiener Neustädter Adventmärkten verbergen sich schönste Geschichten.
Schweifende Blicke vor der Auslage, ein Funkeln in den Augen, und die Idee für das Weihnachtsgeschenk ist geboren. Ein Mann hastet unter Vorwand nochmals zurück, um heimlich jenen Anhänger zu kaufen, den seine Frau schon dreimal hochgehoben und dann doch liegen gelassen hat. Diese Momente sammeln die Leute hinter den Vitrinen und Theken wie Sternschnuppen. Sie sind die Belohnung für monatelange harte Arbeit, die sie in ihre Stände auf den Adventmärkten in Wiener Neustadt investiert haben. Ob für den Markt am Domplatz am ersten Adventwochenende, eine Woche später in der Beethovenallee oder anschließend im Bürgermeistergarten: Wie jedes Jahr begannen die Standler mit dem Drechseln, Schleifen, Gießen und Verpacken ihrer Kunstwerke, lange bevor die ersten Lebkuchen in den Supermarktregalen auftauchen. Die Leidenschaft, die dahintersteckt, spürt man trotzdem noch.
Von allen Ausstellern hat wohl kaum jemand seine Liebe zur Kunst früher für sich entdeckt als die Keramikerin Stephanie Rettner. Ihr Modelliertalent begleitet die 36-Jährige schon ihr ganzes Leben lang: „Seit ich alt genug war, um zu verstehen, dass Knetmasse nicht zum Essen da ist, habe ich mir zu jedem Anlass welche gewünscht.“ Nach ihrer Ausbildung an der Keramikschule Stoob ging sie zuerst ihrer Berufung als Mutter nach, ehe sie nach der Karenz die alte Töpferscheibe wiederentdeckte, die ihre Mutter zu Beginn ihrer Schulzeit gekauft hatte. Nur wenige Monate später holte sie bereits den Gewerbeschein für „Steffis Feenwelt“.
Diese Welt bringt Steffi nun zum zweiten Mal auf die Adventmärkte von Wiener Neustadt. Ihr Stand ist wie eine Reise durch ein Märchenland, mit kleinen Dufthäuschen, die aussehen wie verwunschene Kürbisse, und Wichteln, von denen nur die Beinchen unter der Zipfelmütze hervorlugen. Mit ihren blauen Haaren wirkt Steffi wie die Elfenkönigin ihres Standls. In gewisser Weise ist sie das auch, immerhin arbeitet sie komplett eigenständig. Neben ihrer Ausbildung ist es nämlich vor allem ihre Kreativität, die sie als Keramikerin auszeichnet: „Manchmal liege ich nachts wach, und mir fallen Sachen ein wie ein Springbrunnen, in dem eine Katze auf einem Hasen sitzt und auf der Katze ein Schmetterling, der Wasser speit. Der Brunnen steht übrigens jetzt bei mir zu Hause.“
Von der nächtlichen Idee bis zum fertigen Kunstwerk dauert es mehrere Wochen, bis Steffi alles geformt, gehärtet, glasiert, verziert, geschliffen und über tausend Grad heiß gebrannt hat. Der letzte Schritt ist auch der heikelste. „Es hat eine Zeit gegeben, in der die Ausgaben höher waren als die Einnahmen“, erzählt sie. Mittlerweile sind Steffi und ihr 120-Liter-Ofen jedoch ein eingespieltes Team. Immer noch töpfert Steffi alles an der Scheibe. Von ihrer Mama hat sie außerdem die Liebe zum Standlerdasein. „Sie hat früher am Neustädter Adventmarkt ihre burgenländischen Mehlspeisen verkauft. Ihr ist das Herz aufgegangen, als sie erfahren hat, dass ich jetzt auch hier ausstelle“, sagt Steffi.
STEPHANIE RETTNER entschloss sich als Vierzehnjährige, täglich drei Stunden zwischen dem burgenländischen Krensdorf und Stoob zu pendeln, um die österreichweit einzige Keramikschule besuchen zu können. Ihre „verrückten“ Kreationen schuf sie zunächst nur für sich selbst. Bis ihr der Platz ausging und sie feststellte, dass die Nachfrage danach in ihrem Umfeld immer weiterwuchs.
Auch Wolfgang Wilczek hat große Fußstapfen zu füllen. Es war sein Mentor und guter Freund Rudi, der vor ihm als einziger Drechsler auf dem Adventmarkt in Wiener Neustadt ausstellte. Vor zehn Jahren übergab Wolfgang, langjähriger Chef der Würstelboutique, seinem Sohn die Grillzange und ging in Pension. Auf einem Adventmarkt trafen er und seine Frau Karin auf einen Standler, der ihnen das Drechseln eines Kreisels zeigte und dadurch Wolfgangs Interesse weckte. Rudi, der hilfsbereite Standler, traf sich fortan monatelang fast täglich mit Wolfgang und brachte ihm bei, was er wusste. „Eine Eselsgeduld hatte dieser Mensch“, erinnert sich Wolfgang lächelnd. Es war der Beginn einer großen Leidenschaft.
Von Rudi lernte Wolfgang sämtliche Techniken zur Holzverarbeitung, die man jedes Jahr an seinem Standl auf dem Domplatz bewundern kann. Hier findet man auch heuer wieder Brotdosen, Kerzenhalter und Schatullen, aber auch kleine Kreisel, so spitz wie Zahnstocher. Die feinen Details sind das Zeugnis für die unglaublich ruhige Hand des 78-Jährigen. Wer sich selbst von seinem Talent überzeugen möchte, kann ihm direkt am Stand beim Drechseln von Kreiseln zusehen und sie danach auf ihr Drehvermögen überprüfen. Der organisatorische Kopf der „Wichtelwerkstatt“, wie sie liebevoll genannt wird, ist hingegen Karin. Sie gestaltet die Preise, kümmert sich um die Buchhaltung und hilft bei der Gestaltung des Sortiments. Eines jedoch lieben Wolfgang und Karin gleichermaßen: das Standlerdasein. Nur logisch also, dass sie am Weihnachtsmarkt wieder zu zweit anzutreffen sein werden.
Der Einzige, der Wolfgang bei seiner Arbeit fehlt, ist sein Mentor Rudi. Er starb vor fünf Jahren. „Er wollte sich damals seine eigene Urne fertigen, war aber schon zu krank. Dann habe ich sie gemacht. Eine Woche nachdem ich sie ihm gezeigt habe, ist er gegangen“, erzählt Wolfgang. Trotzdem bleibt sein guter Freund bis heute eine wichtige Inspiration für sein Handwerk. Direkt über der Drechselmaschine hängt Rudis Bild zwischen unzähligen Eisen und Schleifinstrumenten. Weiß Wolfgang bei einem Projekt nicht weiter, fragt er es um Rat. Bis jetzt hat er danach noch immer einen Weg gefunden.
Die Erzählungen hinter den Kunstwerken auf den Adventmärkten in Wiener Neustadt könnten ganze Bücher füllen. Es sind Geschichten von Menschen, die ihr Wissen weitergegeben haben wie eine Kerze ihre Flamme. Um sie alle zu erfahren, müsste das ganze Jahr über Advent sein. Es lohnt sich aber auf alle Fälle, ein paar Fragen über den Gegenstand zu stellen, den man gerade bezahlen will, um ihn von einem Souvenir zu einem Herzensgeschenk zu machen – und um den Standlerinnen und Standlern zuzusehen, wie auch ihre Augen anfangen zu leuchten.