Es gibt nichts, was es nicht gibt

Seit 1896 gibt es den Familienbetrieb Zeilinger Stoffe in der Innenstadt. Von der Enkeltochter bis zur 91-jährigen Oma helfen hier alle im Geschäft mit.

Aus den bunten Stoffen der Familie Zeilinger werden Träume gefertigt: von feschen Dirndln über noble Ballkleider bis zu eleganten Businessanzügen.

„Irgendwann kommt jeder einmal zu uns“, sagt Petra Ovcaric lächelnd, „egal ob Modeschülerin, Hobbyschneider oder Pensionistin.“ Petra Ovcaric ist die Inhaberin des Familienbetriebes Zeilinger Stoffe an der Ecke Hauptplatz und Kesslergasse. „Alles rund ums Nähen“, lautet das Motto seit bereits vier Generationen. Damit zählt man zu den zehn ältesten Familienunternehmen in Wiener Neustadt. Im Jahr 1896 gründete Franz Zeilinger, ein Kaufmann aus dem Waldviertel und der Urgroßvater von Petra Ovcaric, das Geschäft in der Innenstadt. Die Räumlichkeiten sind die selben wie heute; doch damals verkaufte man neben Nähzubehör und Stoffen auch Damenbekleidung und Wäsche.

„Von den ersten beiden Generationen ist leider nicht viel bekannt“, erzählt Petra Ovcaric. Der Grund dafür ist tragisch: Es war an einem Frühlingstag im Jahr 1945, als die Hälfte der Familie bei einem Bombenangriff ums Leben kam. Als die Sirenen losgingen, rannte man in einen 50 Meter vom Geschäft entfernten Luftschutzkeller. Während das Geschäft selbst unbeschädigt blieb, wurde ausgerechnet der Luftschutzkeller getroffen und stürzte ein. 100 Tote grub man aus den Trümmern.

Hertha Zeilinger, die Mama von Petra Ovcaric, überlebte – weil man die damals 13-Jährige aufs Land geschickt hatte. Bis zu ihrer Volljährigkeit musste ein Sachwalter die Geschäfte führen. 40 Jahre lang leitete Hertha Zeilinger den Betrieb, ehe sie diesen 1993 an Tochter Petra übergab. Heute ist Hertha Zeilinger 91 – und hilft noch immer im Geschäft mit. „Sie muss nicht, aber sie darf“, schmunzelt Petra Ovcaric.

Im Familienbetrieb Zeilinger Stoffe scheint die Zeit auf sympathische Art und Weise stehen geblieben zu sein. Im hinteren Teil, das als Büro genutzt wird, stehen eine Knopfpressmaschine und ein Gerät zum Kürzen von Metallreißverschlüssen, beide sind mindestens 50 Jahre alt. In Massivholzladen aus der Zwischenkriegszeit werden im Verkaufsraum Sicherheitsnadeln, Hosenträger, Teppichbänder, Schneiderkreiden, Spiralfedern, Gummigürtelschnallen und Schulterpolster aufbewahrt.

In diese Welt wurde Petra Ovcaric vor 64 Jahren hineingeboren. „Es war immer klar, dass ich den Betrieb einmal übernehmen werde. Schon als kleines Kind stand ich im Geschäft“, erinnert sie sich. Heute kümmert sie sich um die „kreativen und schönen Dinge“, wie sie es nennt: Ware einkaufen, Auslage dekorieren, Kunden beraten. Lebensgefährte Manfred Geier agiert mehr im Hintergrund; der 58-Jährige erledigt Buchhaltung und Bankwege. Tochter Anna betreut neben ihrem Jus-Studium den Social Media-Auftritt und den Webshop-Verkauf. „Wir sind eben nicht nur traditionsbewusst, sondern auch modern“, sagt die 28-Jährige.

Im Jahr 2003 zog man sich aus dem Handel mit Konfektionsware zurück. „Mit den Großhändlern konnten wir auf Dauer nicht konkurrieren“, sagt Petra Ovcaric. Seitdem konzentriert man sich auf das ursprüngliche Kerngeschäft: auf Nähzubehör und Stoffe. Wohin man auch schaut: Hier gibt es fast nichts, was es nicht gibt, von Nadeln und Nieten, Nähseide und Nähkissen bis Drucker, Bänder und Ösen.

Hunderte Ballen Stoffe lagern im Betrieb, hier Baumwolle, da Satin, dort Trachten. Auch Dekostoffe – für Polster, Decke oder Tischtuch – und Möbelstoffe finden sich im Sortiment. „Der Großteil unserer Kundinnen und Kunden näht selbst“, weiß Manfred Geier. „Aus unseren Stoffen entstehen fesche Dirndl und noble Ballkleider, elegante Businessanzüge und gemütliche Nachthemden.“ Wie gesagt: Irgendwann kommt jeder einmal ins Geschäft.