Höhenluft und Suppenduft
Gipfelglück vor der Haustür. Nahe Wiener Neustadt haben Wanderer die Qual der Paradies-Wahl.
An den Wochenenden nehmen sich Michael und Nina Zeit – für die Berge, für das Wandern und füreinander. Auf den Gipfeln rund um Wiener Neustadt haben die beiden Stadtkinder gemeinsam ihre Liebe zum Naturglück entdeckt.
Wenn die Ebners ihre Rucksäcke packen, überlassen sie nichts dem Zufall. Ehe sie in Wanderschuhen über die Türschwelle treten, wird noch die Checkliste überprüft: Pflaster, Wasserflasche, Jausenmesser … „Lieber nehmen wir zu viel mit als zu wenig. Wir sind schon zu oft von etwas überrascht worden“, sagt Michael. Vielleicht eine Anspielung auf die Wanderung am Schneeberg vor ein paar Monaten, bei der sie trotz guter Wettervorhersage auf dem Rückweg in den strömenden Regen gerieten. Seitdem darf die Regenjacke nicht mehr fehlen. Außerdem ganz oben auf der Liste: ein paar Snacks für Nina, „Notfallsüßigkeiten“, wie ihr Mann sie nennt. „Ich werde nämlich immer furchtbar knatschig, wenn ich nix zum Essen habe“, erklärt sie. Schade wär’s drum. Einen so schönen klaren Herbsttag in den Bergen wie den, der heute auf dem Kieneck in den Gutensteiner Alpen bevorsteht, sollte man in vollen Zügen genießen können.
Dabei musste vor allem Nina in ihr Hobby erst hineinwachsen. Als Kind hatte die gebürtige Wiener Neustädterin wenig Bezug zu den Gipfeln vor ihrer Haustür, ihre Liebe zu den Bergen in ihrer Heimat entdeckte die 44-Jährige erst durch die Liebe zu ihrem Mann. Michael hingegen wuchs zwar in Graz auf, verbrachte jedoch mit seiner wanderlustigen Familie viel Zeit in den steirischen Bergen. Mittlerweile sind die beiden verheiratet, wohnen im Zehnerviertel und haben das Bergsteigen zu ihrer gemeinsamen Leidenschaft gemacht.
Manchmal stoßen auch Freunde dazu, hauptsächlich genießen die beiden ihr Hobby aber zu zweit. „Wir halten uns die Wochenenden gern für Touren frei. Das ist dann unsere Zeit, und die genießen wir auch“, sagt Michael. „Manche unserer Freunde sind sehr ehrgeizig, das ist aber nicht unser Fall. Wir kennen unser Tempo und sind ein eingespieltes Team.“
Michael nimmt Ninas Hand. Der erste Teil der Strecke bis zum Bettelmannkreuz verläuft über einen noch eher flachen Forstweg, die Sonne schneidet durch die klare Herbstluft und bricht sich im roten Laub der Buchen. Elf Wege aus drei Bezirken führen auf das Kieneck, einige anspruchsvoller, andere anfängerfreundlicher. Den, für den sich die Ebners entschieden haben, kennen sie schon gut. Er verläuft zuerst durch den Wald, dann über einen Bergkamm und besticht durch den Fernblick auf den markanten Unterberg. Neben dem Weg findet man noch vor dem höchsten Punkt des Kienecks das schlichte Gipfelkreuz, das etwas versteckt zwischen den Bäumen liegt.
Auf der Enzianhütte treffen von Wanderwegen aus allen Himmelsrichtungen die Gäste aufeinander. Touristen, Bergfexe, Familien mit Kindern – sie alle freuen sich auf ein kühles Getränk und eine wohlverdiente Mahlzeit am höchsten Punkt des Kienecks. So auch die Ebners: „Wir belohnen uns immer mit irgendetwas Gutem zum Essen“, meint Nina.
Davon gibt es hier reichlich: Auf 1.107 Höhenmetern werden warme und kalte Speisen serviert, darunter auch vegane und allergikerfreundliche Optionen. Simon und Steffi, die jungen Wirtsleute, versorgen ihre Gäste seit 2017 mit feinen, traditionell gekochten Gerichten und regionalen Schmankerln. Nina und Michael bestellen sich wie immer eine wunderschön angerichtete Jause, außerdem eine Kaspressknödelsuppe, die gerade noch auf dem Holzofen geköchelt hat.
Gratis dazu gibt’s die prächtige Aussicht über die Voralpen, die unweigerlich Heimatliebe aufkommen lässt. „Es ist schon einzigartig für Stadtbewohner, dass wir so schnell in den Bergen sein können. Den Schneeberg haben wir vor der Haustür, auf der Hohen Wand sind wir in einer Viertelstunde, und trotzdem können wir das Stadttreiben genießen, wenn uns danach ist“, sagt Michael. „Da sind wir in dieser Gegend wirklich gesegnet.“
Das Grummeln im Magen ist mittlerweile verstummt. Aber die Ebners beschließen: Der Rückweg kann noch warten. Zu fesselnd ist das herbstklare Panorama.