Kanale Grande
Ein Wasserweg verband einst Wiener Neustadt mit Wien.
Möglich machten das 16 Aquädukte und 50 Schleusen. Von Pferden gezogene Lastschiffe transportierten Holz, Kohle und Ziegel, aber auch Lebensmittel und Personen. Heute dient der Kanal ausschließlich der Freizeitnutzung.
Es sollte eine Verbindung zwischen der Donau und der Adria, von Wien nach Triest, werden. Ein künstlich angelegter Schiffskanal, der für Gütertransporte konzipiert war und die Pferdefuhrwerke ablösen sollte. Tatsächlich realisiert wurde aber nur eine Teilstrecke von Wien nach Wiener Neustadt, später weiter bis zur ungarischen Grenze, insgesamt stolze 63 Kilometer lang. Bei der Jungfernfahrt im Jahr 1803 fuhr ein Schiff um fünf Uhr in der Früh von Wien ab, lud in Guntramsdorf Ziegel auf und traf am Nachmittag des folgenden Tages in Wiener Neustadt ein. Gespeist wurde der Kanal durch die Leitha und den Kehrbach, einen von der Schwarza abgezweigten Bach. „Der Höhenunterschied von etwa 100 Metern wurde mit Hilfe von 50 Schleusen überwunden“, erzählt Historikerin Eveline Klein. 16 Aquädukte und zahlreiche Brücken machten es möglich, Bäche und Straßen zu überqueren bzw. zu unterqueren. „Für die damalige Zeit war das eine herausragende technische Leistung.“
Eveline Klein weiter: „Auf dem sogenannten Treppelweg zogen Pferde die schmalen Lastschiffe. Sie versorgten die stark wachsende Hauptstadt Wien mit Holz, Kohle und Ziegeln.“ In die Gegenrichtung transportierte man Salz, Zucker, Wein und Mauthausener Granit, mit dem die Straßen von Wiener Neustadt gepflastert wurden. Bis zu 70 jeweils von einem Pferd gezogene Lastkähne verkehrten auf dem Kanal. Diese Art des Transports war wesentlich effizienter als auf der Straße: Zog ein Pferd eine Tonne am Wagen, so konnten 30 Tonnen bei gleicher Geschwindigkeit mit dem Kahn befördert werden. Die 20 Meter langen und 2 Meter breiten Kanalboote waren symmetrisch gebaut und konnten, ohne zu wenden, in beide Richtungen gezogen werden. „Die Bauweise hatte man sich von mittelenglischen Kanalschiffen abgeschaut“, weiß Eveline Klein.
Neben Gütern wurden auch Personen transportiert. Drei Mal pro Woche verkehrte ein sogenanntes „Lustschiff“ von Wien in die Kaiserresidenz nach Laxenburg. Bis zu 80 Personen fanden auf einem Kahn Platz. Die Fahrzeit für die etwa 25 Kilometer lange Strecke betrug beachtliche dreieinhalb bis vier Stunden. Eveline Klein: „Man nannte die Schiffsverbindung daher auch scherzhaft ‚Schneckenfahrt‘.“
In Wiener Neustadt lag der Hafen an der Ungargasse gegenüber der Neuklosterkirche. Die Boote verkehrten von Anfang April bis Ende Oktober. Im Winter wurde der Kanal gereinigt. Die Kähne wurden in der Schiffswerft untergebracht und die Kanalbauwerke gereinigt.
Obwohl der Kanal ein wirtschaftlich genutzter Verkehrsweg war, wurde er – unentgeltlich und unerwünschterweise – auch privat genutzt: zum Baden, Eislaufen und Fischen, zur Entnahme von Löschwasser und als Viehtränke und Pferdeschwemme. Vielfach wurden im Winter auch Eisblöcke aus dem vereisten Kanal geschnitten, die Gastwirten und Brauereien im Sommer als Kältespender dienten.
„Mit dem Siegeszug der Eisenbahn und der Inbetriebnahme der Südbahn wurde die Schifffahrt auf dem Kanal rasch bedeutungslos“, berichtet Eveline Klein. Noch vor dem Ersten Weltkrieg hörte sie gänzlich auf. Die Häfen in Wiener Neustadt und Wien wurden zugeschüttet, einzelne Teilstücke des Kanals folgten. 1956 übernahm das Land Niederösterreich den verkürzten Wasserlauf und stellte ihn als Erholungsgebiet für Wanderer, Radfahrer, Rudersportler und Fischer unter Denkmalschutz. Der heutige Wasserweg – 36 Kilometer lang, maximal zehn Meter breit und einen Meter tief – endet bei Laxenburg, wo er in den Mödlingbach fließt. Er ist ein Refugium für seltene und bedrohte Pflanzen und Tiere.
Die meist nur einseitig gemähten Kanalböschungen sind ein Refugium für seltene und bedrohte Pflanzen und Tiere.
Verglaste Terasse, und alles offen bei Schönwetter. Der Schifferlwirt in der rechten Kanalzeile ist mit Burger, Flammkuchen und Steckerlfisch längst Sehnsuchtsort für Genussmenschen.
Historikerin EVELINE KLEIN kam 1958 im südlichen Niederösterreich zur Welt. Sie studierte in Wien Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte und machte danach eine Ausbildung zur Museumspädagogin. Seit 2008 leitet sie in Wiener Neustadt das Museum St.Peter an der Sperr. Sie ist verheiratet und hat drei Söhne. Eveline Klein ist die historische Begleiterin des Stadtmagazins.