Tempojagd und Yogageist

Sportlich mag es Kevin Reiterer wild

Auf seinem 200 PS starken Jetski saust er mit 130 km/h über die Wellen – sogar bis zum WM-Titel. Privat hingegen zieht es den Bad Fischauer ins Grüne und auf die Yogamatte.

Kevin Reiterer lebt seinen Speed-Traum und liebt, was er tut. „Es ist immer wieder atemberaubend.“

Sieben Jahre war er alt, als er das erste Mal auf einem Jetski stand. Mit elf bestritt er sein erstes Rennen. Heute ist er 31, neunfacher Weltmeister, siebenfacher Europameister und damit einer der besten Jetski-Fahrer der Welt. Kevin Reiterer, ein Speedfreak, der auf dem Jetski kaum zu schlagen ist. Ein Adrenalinjunkie, der auch bei einem Puls von 180 noch die Nerven behält. Und ein Weltenbummler, der zwischen Australien, Neuseeland, Indonesien, Japan, Vietnam, Thailand, China, Dubai und den USA hin und her jettet. Und da sind die europäischen Destinationen gar nicht einmal erwähnt.

Die Anfänge waren freilich weniger exotisch. Opa Reiterer war im Schottergeschäft tätig, und der Enkel nutzte den dazugehörigen Wiener Neustädter Teich schon in frühen Jahren zum intensiven Training. „Vor Schulbeginn habe ich noch 45 Minuten meine Runden gedreht“, erinnert sich Kevin Reiterer. Als Schüler des Sportgymnasiums Zehnergasse genoss er zahlreiche Privilegien. So gab ihm der Direktor für Trainingslager und 16 Wettkämpfe frei – „aber nur, wenn die Schulnoten gepasst haben“, erzählt er schmunzelnd. Die Noten passten, und die sportlichen Ergebnisse bald auch. 2008, Kevin Reiterer war damals 16, wurde er erstmals Weltmeister in der allgemeinen Klasse. Spätestens da war klar, dass er eine Profikarriere einschlagen würde. „Meine Eltern haben mich in der Entscheidung voll unterstützt“, betont er.

Der 31-Jährige lebt seinen Traum und liebt, was er tut. Aber leben kann er davon nicht. „EM- und WM-Titel sind etwas für die Ehre“, sagt er. Familie und Freunde unterstützen ihn daher tatkräftig, wo immer sie können. Sponsoren sorgen dafür, dass er zumindest den finanziellen Aufwand decken kann. Denn seine Leidenschaft ist teuer. Zwischen 8.500 und 11.000 Euro kostet ein Renn-Jetski. Dazu kommen noch ein Transporter, ein Anhänger, Ausrüstung sowie Flugkosten. Fährt man – wie Kevin Reiterer – nicht für ein Werksteam, muss man sich auch noch um Mechanik, Reiseplanung und Pressearbeit kümmern. „Ich bin eine One-man-Show“, sagt er. Geschlafen wird daher oft nicht in Hotels, sondern auf günstigen Campingplätzen. „Wir Fahrer tingeln wie ein Zirkus von einem Wettkampf zum nächsten.“

20 Minuten dauert so ein Wettkampf. Gefahren wird entlang eines festgelegten Kurses. Renn-Jetski haben mehr als 200 PS, ihr Topspeed beträgt 130 km/h. Sie beschleunigen von null auf hundert in zwei bis maximal drei Sekunden. „Und das im Wasser, nicht auf der Autobahn“, wie der Bad Fischauer betont. Gebremst wird nur mit Hilfe des Widerstandes des Wassers, gelenkt mittels Lenker und Gewichtsverlagerung. Wie bei Motorradrennen kommt es immer wieder zu Berührungen, Remplern und Stürzen. „Beim Start passieren die meisten und die gefährlichsten Stürze“, erzählt Kevin. Die eingeschränkte Sicht und ständig wechselnde, unvorhergesehene Wellen tun ihr übriges. „Bei Stürzen ab 60 km/h wird es schmerzhaft.“ Die schlimmsten Blessuren bisher: mehrere Platzwunden und ein Kreuzbandriss. Oder, wie er es formuliert: „Bis jetzt ist nix Grobes passiert.“

Und dennoch wird er immer wieder gefragt, ob Jetski fahren denn tatsächlich ein Sport sei. „Meist von Menschen, die einmal im Urlaub zehn Minuten auf einem Jetski gesessen sind. Aber auf flachem Wasser kann selbst ein kaum geübter Fahrer Gas geben.“ Doch auf den Wellen trenne sich die Spreu vom Weizen. „Taucht man in die Welle ein, bleibt einem die Luft weg.“ Da benötige man viel Gefühl, enorme Ausdauer und natürlich volle Konzentration – und das bei einem Puls von 180. „Das ist nichts für Angsthasen. Es ist ein verdammt anstrengender und risikoreicher Sport. Es steckt harte Arbeit und viel Disziplin dahinter.“ Da die Jetskis keine Federungen haben und man in leicht gebückter Haltung fährt, werden Knie und vor allem Rücken stark belastet. Während der Wettkampfsaison hält sich der 31-Jährige daher mit Krafttraining und speziellen Rückenübungen fit.

In der wettkampffreien Zeit von Dezember bis April stehen eher Ausdauersportarten wie Laufen, Rad fahren und Schwimmen auf dem Programm. Mittlerweile praktiziert er auch regelmäßig Yoga. „Yoga hat mir geholfen mich zu fokussieren und das psychische Wohlbefinden zu steigern.“ Seiner Langzeitpartnerin Laura, die er in den vergangenen Jahren oft monatelang nicht sah, gab er im Winter 2022 am Strand von Ko Samet (Thailand) das Ja-Wort. Das Paar hatte sich einst beim Jetskifahren kennen und lieben gelernt. Die Flitterwochen verbrachten die beiden, wie könnte es anders sein, natürlich am Wasser – beim Surfen auf Bali.

Mit Laura, einer Physiotherapeutin, gründete Kevin Reiterer im Jahr 2023 in der Innenstadt von Wiener Neustadt ein Studio für Bewegung namens Evolve (auf deutsch: „entwickeln“). Hier kann man mit einem Team aus Therapeuten, Trainern und Sportwissenschaftlern in die Welt von Yoga & Co. eintauchen. Trotz des neuen beruflichen Standbeines ist Kevin Reiterers Faszination für seinen Sport auch nach fast 25 Jahren ungebrochen. „Der Speed, die Atmosphäre, die Überholmanöver – es ist atemberaubend.“ Nachsatz: „Ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte. Jetzt sage ich mir: Kevin, genieße die Fahrt!“

KLEINES JETSKI-LEXIKON

Unter Jetski bezeichnet man umgangssprachlich ein kleines, motorisiertes Wasserfahrzeug ohne Bordwand. Renn-Jetski haben mehr als 200 PS und erreichen einen Topspeed von wrund 130 km/h. Der Sport wird von zwei Weltdachverbänden geregelt, die auch Weltmeisterschaften veranstalten. Weltmeister wird der Fahrer, der während der Saison die meisten WM-Punkte gesammelt hat. Die einzelnen Wettkämpfe finden in unterschiedlichen Ländern auf mehreren Kontinenten statt (ähnlich der Formel 1). Man unterscheidet drei Wettkampf-Kategorien: In der Kategorie Freestyle geht es um Tricks mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Eine Jury bewertet die Fahrer mit Punkten von 1 bis 10. Freeride ist die neueste Wettkampf-Disziplin, dabei wird das Springen und Surfen der Fahrer in der Welle bewertet. Beim Racing muss ein mit Bojen abgesteckter Slalomkurs möglichst schnell durchfahren werden. Dabei können Geschwindigkeiten von mehr als100 km/h erreicht werden.